Berlin 06.12.12
Nachlese GEHEN TransAlpin durchwühlt Chur
Am Donnerstag den 29.11. bin ich 9 Stunden durch Chur gegangen. Der Weg durch die Straßen folgte dem Verlauf meiner 9,5 wöchigen Alpenquerung im Sommer 2012, die nicht weit von Chur in Maloja endete.
An 11 Stationen der Churer Altstadt unter anderem in Hof, hinter dem Stadthaus, vor dem Theater, im Manor-City-Parkhauses, am Busbahnhof, am Rathaus und an der Martinskirche habe ich mich in unterschiedlichen Interventionen mit dem Gehen und Wahrnehmung beschäftigt.
Die Hypothese für den Tag war: Jeder Schritt, den wir tun, ist relevant. Denn mit jedem Schritt verschiebt sich etwas in uns selber und mit jedem Schritt verschieben wir das Gefüge der Welt. Da die Komplexität des sich dabei vollziehenden kontinuierlichen und wechselseitigen Austauschs zwischen uns und der Welt im Alltagsmodus der Wahrnehmung entschlüpft, gleichzeitig aber in diesem Weben sowohl unsere Freiheit als auch unser Potential schlummert, waren meine Eingriffe in den Churer Alltag unterschiedliche Vorschläge zum Innehalten, Aufmerken, Lauschen und sich Umsehen.
So forderten zum Beispiel eine Lecture zum Thema ‚ökonomisches Auf- und Abwärtssteigen‘ im 6. UG des City-Parkhauses, ein von mir gezeigter Tanz zwischen Gehen, Fallen und Schwingen vor dem Theater, eine Feldenkrais-Kurzlektion über MP3-Player für Wartende am Busbahnhof, die die Aufmerksamkeit auf Ausschnitte des Gehablaufs lenkte und in einem kleinem Tänzchen mündete, bis zu den Projektionen der Fotos vom Weg der Tagestour an der Martinskirche die PassantInnen auf, einen Schritt aus dem Fluss der Gewohnheit zu tun und sich so durchwühlen zu lassen.
Und eben das, das Innehalten, um sich einer unvorhergesehenen Situation zu stellen, die in ihrem Daherkommen nicht in bekannte Raster einzuordnen ist, eben das ist einer der schwierigsten Schritte. So erlebte ich in Chur denn auch in den absurdesten Situationen häufig eher ein Trotzdem-Weitergehen. Dennoch kann ein solch andauerndes und in diesem Sinne auch hartnäckiges Ereignis im Gefüge einer Stadt nicht spurlos sein, bleibt man innerhalb des Prinzips der Wirksamkeit und Relevanz von kleinen Schritten. Nur entzieht es sich der Überprüfbarkeit. Es bleibt eine Ahnung von Begegnung im Raum und in mir ein deutliches Gefühl des Durchwühlt-worden-seins.
Video: http://vimeo.com/61419165
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Berlin, 14.10.12
Fotos von den Showings in der Tanzfabrik Belin am 28.+29.09. im Uferstudio 4/Wedding:
28.09.12 – GEHEN TransAlpin gerade zurück in Berlin_Aufstieg
29.09.12 – GEHEN TransAlpin gerade zurück in Berlin_Abstieg
alle Fotos von Maria Silvano: www.mariasilvano.com
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Berlin, 10.09.12
Ihr Lieben,
nach 10 Wochen des Unterwegs-Seins bin ich gesund, glücklich und mit kräftigen Beinen wieder in Berlin gelandet. Meine Tour ist beendet und so, wie es mit mehreren Etappen von Anfängen begann, so gab es auch mehrere Enden…
Ein Ende ereignete sich am Montag den 03.09. nachmittags, als ich über die Via Engiadina (Engadin übrigens durch den Inn, der auf Romanisch En heißt und am Pass Lunghin oberhalb von Maloja enspringt) das Dorf Maloja erreichte. Es liegt auf der Passhöhe des Maloja-Passes und damit am oberen Ende des Engadins, wozu es geografisch zählt, gleichzeitig liegt es im Bergell, zu dem es politisch gehört. Maloja war der Zielort meiner Tour, da hier das Kultur- und Bildungszentrum Salecina liegt, das mich mit dem Projekt und zu einer weiteren Performance eingeladen hatte. Das Ende, das sich mit der Ankunft in Maloja ereignete, war das Ende der Langzeitkomposition. Dass dieser Moment eine solche Tragweite hatte, wurde mir im vollen Ausmaß erst klar, während ich ihn erlebte. Ich hatte diese Tour-Komposition mit dem ersten Schritt aus dem Zug in Nova Gorica am 01. Juli begonnen und mit der Ankunft in Maloja endete sie. Nicht etwa in Salecina, das etwas außerhalb und aus meiner Gehrichtung hinter Maloja liegt. Damit wurde mir bewusst, welche Wichtigkeit in der Langzeitplanung und der dementsprechend folgenden Durchführung die Wanderkarten hatten. Im Rundbrief_6 habe ich beschrieben, wie die Wege-Fotos einen Score schreiben. Das ist nach wie vor richtig, allerdings für einen zukünftigen oder gar imaginären Tanz. Der Score der letzten Wochen, während dessen eben auch der Wege-Foto-Score entstand, lässt sich in Kürze wie folgt zusammenfassen: 10 Wochen, von Nova Gorica nach Maloja, vorwiegend zu Fuß, einer vorgeplanten Route folgend auf den entsprechenden Wanderkarten vorab markiert, diese Route aktuell adaptieren wo notwendig oder auch attraktiver, Anwesenheiten bemerken, die Gesamtkomposition erfassen, Fotos machen. Und in diesem Score spielten eben die Wanderkarten mit Start- und Zielort eine wesentliche Rolle. Unterwegs hatten mich natürlich immer wieder Menschen gefragt, woher ich komme und wohin ich gehe. Dadurch entwickelten Nova Gorica und Maloja eine immer weiter wachsende Wichtigkeit, und ich wurde immer ausgerichteter auf den Verlauf, der sich dazwischen abspielte. Angekommen in Maloja fiel diese so lange aufrecht erhaltene Aufmerksamkeit von mir ab. Erleichterung, Freude, Glück, Trauer, Leere, Ruhe, Stärke, Verletzlichkeit waren Teil einer großen Gemengelage an Gefühlen in diesem Moment. Was mich sehr bewegt hat, ist die Tatsache, dass es sich in diesem Moment mehr denn je nach einer Gesamtkomposition anfühlte. Als ob in dem Beenden ein ganz besonderes Begreifen des Ganzen lag.
Schon in der davor liegenden Woche hatte darüber hinaus ein ‚Runterkommen‘ begonnen, aus der Höhe und aus meiner kontinuierlichen physischen Anstrengung, die durch das wechselhafte Wetter mit Schneeeinbruch eingeleitet worden war. Ein Segen, wie sich im Nachhinein herausstellte, da ich mir ohne diese ‚höhere Gewalt‘ kein solches Ausfaden gegönnt hätte. Mein Plan hieß, so lange wie möglich weit oben bleiben und so viel Bergintensität wie möglich. So, wie es sich dann jedoch entwickelt hat, konnte ich schon unterwegs in verdaubaren Dosierungen das Nicht-unterwegs-Sein üben, das Allmählich-wieder länger-in-Häusern-Sein, das Über-den-Tag-mit-Menschen-zusammen-Sein und mich langsam all den zivilisatorischen Reizen wieder aussetzen. Somit ist mein Landen in Berlin noch immer eine massive Umstellung, aber verdaubar. Allerdings habe ich heute beim Überqueren des Kottbusser Damms gedacht, dass es der Gefahr von Steinschlag in den Alpen ähnelt. Dieses Risikoempfinden habe ich ansonsten hier nicht. Es ist vollkommen an den Rand meiner Vorstellung gedrängt. In den Alpen ist das ganz anders. Das Risikoempfinden ist ein ständiger Begleiter, und ich musste mit diesem wachen Bewusstsein um Gefahr und Verletzlichkeit handlungsfähig sein. Damit hat Sterben und Endlichkeit eine große Präsenz in mir bekommen. Was sich daraus weiter entwickelt, wird sich zeigen. Momentan trage ich in mir eine unendliche Dankbarkeit dafür, dass ich all das, was ich erlebt habe, so unbeschadet, geradezu geborgen in der Unwägbarkeit, erleben durfte. Es scheint etwas zu geben, was trägt, neben der Schwerkraft, ohne dass ich etwas dazu tue. Diesem Fluss, so erfahre ich diese Kraft, nicht im Weg stehen ist eher, was ich noch weiter üben kann. Zu oft blockiert mich in erster Linie die Angst vor der Unwägbarkeit und verhindert die Nutzung meiner Sinne und Fähigkeiten. Ein Resümee der Reise ist auf alle Fälle, dass Gehen ganz allgemein eine hervorragende Möglichkeit ist, den Schritt ins Unbekannte immer wieder zu proben und dabei das konstante Erschüttern von Selbst und Welt als einem konstruktiven Prozess anzunehmen.
Interessant war meine Reaktion auf das Mitfahren im Auto hier in Berlin. Wo in den Alpen meine Orientierung extrem geschärft und präzise war, hatte ich hier als Beifahrerin in null Komma nichts die Orientierung verloren.
Weitere Momente von ‚Ende‘ waren: Die Ankunft in Salecina am 04.09., eine letzte 5,5-stündige Tour am 0.09. von Salecina aus zum Forno-Gletscher, die Performance am Freitag 07.09. in Salecina, die 14-stündige Rückfahrt mit Bus und Bahnen, alle Wäsche aus meinem Rucksack in die Waschmaschine stopfen, diesen letzten Rundbrief schreiben… Von einigen dieser Enden noch Fotos und die Ankündigung von Workshop, Performances und Begleitveranstaltung, die jetzt dem Alpenwandern folgen:
Workshop
Die Kunst des Gehens – The Art of Walking 21. + 22.09.2012 / 15-19 h
80.- / 60.- €, Tanzfabrik Uferstudios, mehr unter: http://www.tanzfabrik-berlin.de/wsbescheibung.php?d1=2012-09-21&d2=2012-09-22#17
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Showing
Katja Münker “GEHEN TransAlpin gerade zurück in Berlin”
Fr 29.9._18h
Tanz-Performance-Installation/ Showing
Sa 29.9._18h
Researchpräsentation, im Anschluss Vortrag & Diskussion mit Dr. Ralph Fischer
Ort/Location: Tanzfabrik Berlin/Wedding, Uferstudio 4
Uferstr. 8/23, 13357 Berlin
Eintritt: 7,-/5,- €
Die Showings erzählen jeweils unterschiedliche Aspekte von Katja Münkers 2,5-monatiger Wander-Performance-Tour durch die Alpen. Sie spielen mit Mit-Teilbarkeit von Intensitäten, Geschichten, Räumen und Zuständen, besonders den beim Gehen in den Bergen erfahrenen spezifischen Rhythmen, Beschleunigungen, Verlangsamungen, Füllen und Dehnungen, Engungen und Weitungen. Die erlebten und zugetragenen Geschichten werden in die Performance einfließen. Mit schlichten Mitteln zwischen Konkretem und Abstraktem bewegt sich der Körper und verändert sich sukzessive auch der Raum. Diese Folgeperformances in Berlin schlagen die Brücke zwischen Metropole und Peripherie, Berg und Flachland, Alltäglichkeit und ästhetischem Eingriff, drinnen und draußen.
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Vortrag
Dr. Ralph Fischer “Über die Entdeckung des Gehens in den performativen Künsten”
Sa/Sat_29.9._19h
Ort/Location: Tanzfabrik Berlin/Wedding, Uferstudio 4
Uferstr. 8/23, 13357 Berlin
Eintritt: 5,-/3,- €
Grundlage dieses Vortrags ist das gleichnamige Buch über die Entdeckung des Gehens in den performativen Künsten. Mit Bezug zu Künstlern wie Vito Acconci, Bruce Nauman und Richard Long, aber auch Choreografen, Tänzern und Dramatikern wie Trisha Brown, Steve Paxton, Yvonne Rainer und Samuel Beckett spannt Ralph Fischer einen Bogen zu heutiger Praxis.
Ralph Fischer ist Theaterwissenschaftler und Studienleiter für Kulturwissenschaft in Frankfurt. Er promovierte an der Universität Wien über das Gehen in den performativen Künsten.
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Ich freue mich, euch bald hier oder dort zu sehen,
herzliche Grüße
Katja
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Bever, 31.08.12
Ihr Lieben,
das Wetter beschert euch einen weiteren Rundbrief, denn nachdem es die ganze letzte Woche immer etwas unberechenbar war, ist es nun seit gestern eindeutig: sehr kalt und der Regen, der hier im Tal herunterkommt ist nur ca. 100m höher (ich kann es bequem vom Fenster aus sehen) Schnee. So unklar wie das Wetter war, waren meine letzten Etappen immer nur von einem Tag auf den anderen planbar.
Seit meinem letzten Rundbrief aus Tschagguns bin ich am 23. von dort aufgebrochen und zur Carschina Hütte ins Prättigau gegangen und damit in die Schweiz. Über Klosters (mit einem Pausentag wg. Regen) bin ich zum Flüela-Pass gegangen, wo ich im Hospiz eine der schlimmsten Nächte verbracht habe (unfreundlich, deprimierend lieblos und vollkommen überteuert). Allerdings hat mich die aufgehende Sonne, die die Berge für einige Minuten tief-rot gefärbt hat, wieder versöhnt. Und auch der folgende Tag war großartig: Ich bin auf das 3147m hohe Flüela-Schwarzhorn gestiegen und habe eine unglaubliche Aussicht genossen (u.a. auf Piz Palü, Bernina, Kesch, Disgrazia, Berner und Walliser Alpen, Schesaplana und Sulzfluh). Von dort ging es durch ein großes, ehemaliges Gletscherfeld (lange ist das noch nicht ehemalig…) mit viel Geröllkraxelei letztendlich zur Grialetsch Hütte, die wunderschön ist und von einem ausgesprochen netten Team bewirtschaftet wird. Dort habe ich das Wort ‚Geschosssammler‘ gelernt: ca. 40 Schweizer Soldaten mit 2 Hubschraubern waren dabei, tonnenweise abgeschossenen Munition aus dem letzten Jahr vom Gletscher zu sammeln.
Schon da hatte sich der Himmel nach einem strahlenden Tag sehr zugezogen und am nächsten Tag (Mittwoch) habe ich mich entschieden, direkt ins Engadin abzusteigen und im Tal die angekündigte Kaltfront abzuwarten. Ich landete in S-chanf, wo ich in der Touristinformation 2 Überraschungen erlebte: ich konnte mir finanziell nur eine Übernachtung im Stroh leisten (eine offensichtlich in der Schweiz verbreitete Übernachtungsart auf Bauernhöfen) und am nächsten Tag sollte Hamish Fulton in St. Moritz einen seiner öffentlichen SLOWALKs machen.
So verbrachte ich eine erstaunlich angenehme Nacht im Stall, mit einer Kuh und ihrem gerade 1 Tag alten Kälbchen unter mir. Leider war bis heute Morgen nicht klar gewesen, ob das Kälbchen überleben wird, denn es war nach einer schweren Geburt, bei der es viel Fruchtwasser in seine Lungen bekommen hatte, noch immer zu schwach, um aufzustehen.
Frisch dem Stroh entstiegen bin ich dann in die vollkommen andere Welt von St. Moritz gefahren, um an dem SLOWALK teilzunehmen. Ich konnte mein Glück kaum fassen, so vollkommen überraschend mein eigenes Gehen, Forschen und Performen in dieses Event zu weben. Fotos aus meiner Innenperspektive findet ihr weiter unten und offizielle hier:
Nach meinem wochenlangen Gehen mit viel Gewicht, mit großen körperlichen Anstrengungen, vorwiegend alleine und immer mit einem Ziel, war dieser 1-stündige, extrem langsame Geh-Score in der Gruppe eine wunderbare Erholung für mich. Es hat mich, zusammen mit dem Wetter, darauf gestoßen, dass es an der Zeit ist, allmählich runterzukommen: aus der Höhe und aus dem konstanten Unterwegs-Sein. Um das zu üben, habe ich nun für 2 Tage eine Pension etwas talaufwärts gefunden, in der ich meinen Stalldunst loswerden und mich aufwärmen kann. Danach hoffe ich nochmal auf etwas Wetterbesserung, um zumindest in halber Höhe auf der Via Engiadina den Rest des Weges bis nach Maloja zurückzulegen, wo ich am kommenden Dienstag sein möchte. Dort werde ich dann heute in 1 Woche die letzte Unterwegs-Performance haben.
Ein Thema, das mich beschäftigt, neben dem konstanten Improvisieren dieser Reise, bei der ich in der letzten Zeit eher folge als zu führen, ist das Verwalten von Dingen und das Verwalten von Erfahrungen: Nach nun 9 Wochen mit meinem Rucksack und den in ihm geborgenen Dingen fühle ich mich mit diesen Dingen sehr vertraut. Es ist eine überschaubare Menge, wenn auch ich immer mehr das Gefühl habe, mit ihnen sehr reich an Dingen sein. Ich kann viel sehr unterschiedliche Situationen mit ihnen überstehen, gestalten, vereinfachen, ermöglichen, und es sind dennoch so wenige, dass ich jedes Ding quasi täglich zumindest in der Hand habe, die meisten von ihnen gebrauche. Das Verwalten von diesen Dingen ist mir eine Leichtigkeit geworden. Das kann ich von den Dingen zu Hause nicht behaupten. Auch Einkaufen ist eine Herausforderung: in Klosters im Coop war ich schier überwältigt vom Kühlregal und seinen meterweise Joghurt-Sorten.
Diese Leichtigkeit, die ich im Umgang mit den mich begleitenden Dingen entwickelt habe, machte mir in der letzten Woche auch das Gehen leichter, selbstverständlicher. Andererseits hatte ich allerdings eine Ermüdung gespürt, die ich lange nicht einordnen konnte. Inzwischen vermute ich, dass es eine Überwältigung durch nicht mehr zu verwaltende Eindrücke ist. Schon in Oberstdorf hatte ich am 14.8. von der Erweiterung des inneren Resonanzraums für die Flut an Eindrücken geschrieben. In dieser nun vergangenen Woche sehnte sich mein System immer stärker nach Stille, sodass ich häufig mehrmals täglich still meditiert habe. Diese körperliche und geistige Stille hat mir die Möglichkeit gegeben, all den konkreten und unkonkreten Eindrücken schlicht Raum zu geben, sodass sie sich quasi selber organisieren und nicht mehr verwaltet werden müssen. Seitdem blicke ich auch auf die Unmengen von Fotos, Videosequenzen, Audioaufnahmen, Texte und Postkarten, die in den letzten Wochen entstanden sind, mit einer angenehmen Distanz, fast Neugierde und mit sehr viel mehr Gelassenheit.
Mit aufsteigender Vorfreude auf Berlin schicke ich euch herzliche (und eindeutig herbstliche) Grüße,
Katja
Fotos der letzten Etappen…
Fotos vom SLOWALK mit Hamish Fulton am 30.08.12 in St. Mortiz…
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Tschagguns, 22.08.12
Ihr Lieben,
inzwischen bin ich im Montafon angekommen und damit kurz vor der Schweizer Grenze. Meine letzte Woche war geprägt durch unglaubliches Sommerwetter, beim Wandern eine zusätzliche Herausforderung, da Wasser manchmal knapp wurde und Sonne + Hitze zusätzliche Anstrengungen waren, die einkalkuliert werden wollten. Aber mit Sichten und Lichtverhältnissen, die schier unglaubliche Intensitäten hatten. Ich habe das Gefühl, die Bilder, Landschaften und Bergketten der letzten Woche haben sich mit diesem Licht in mich eingebrannt. Auch die Nächte waren selbst in Höhen über 2000m sehr mild, sodass ich auf, bzw. vor den Hütten wunderschöne Sonnenuntergänge mit Alpenpanoramen erleben konnte.
Außerdem hatte ich ausgesprochen bewegende Begegnungen mit Menschen – manche davon länger oder kürzer in den Alpen unterwegs, andere hier zu Hause. Besonders war der Vormittag als ich von der Biberacher zur Göppinger Hütte aufstieg und auf der Alpschella-Alpe (eigentlich nicht mit Bewirtung) von Xavier Ziegenmilch, Enzianschnaps und ein privates Alphornkonzert bekam. Auch besonders war die Vormittagsrast am nächsten Tag nach dem Abstieg von der Göppinger Hütte ins obere Lech-Tal (in dem ich später mehrere glückliche Bäder genommen habe). Auf dem Unteren Älple kam ich mit der Wirtin Pauline ins Gespräch, die eine so besondere Wärme, Lebenskraft und ehrliche Direktheit hatte, mit der sie mein Herz berührt hat. Überall auf meiner Reise begegne ich solchen Menschen, die in ihrem warmherzigen und hingebungsvollen regionalen Wirken eine weitreichende Wirksamkeit transportieren, die mich beindruckt, da ich sie überall als eine klar getroffene Wahl erlebt habe. Damit treffe ich auf Handlungsspielräume, die meine Zuversicht stärken und in mir eine Freude über gemeinsames Wirken aufkommen lassen. Es ist ein sehr anderer Blick auf das Weltgeschehen, der sich dabei entwickelt, als im Strudel des Großstadtlebens mit seinen Informations- und Kommunikationsflüssen. Das an sich scheint mir nicht anders als erwartet, das Interessante ist, dass ich bei sehr vielen meiner GesprächspartnerInnen eine globale Reflektion erlebt habe, die alles andere als hinter dem Berg lebt. Diese Gleichzeitigkeit von moment- und ortsbezogener Verwirklichung und dem Mitdenken von anderen Lebensbedingungen birgt für mich eine zukunftsträchtige Verantwortung für das eigene und das geteilte Leben, die ich so nicht erwartet habe.
Ein andere wichtiger Aspekt der letzten Tage war die Frage: Wo ist eigentlich der Tanz in dieser Wanderung?
Wenn ich die Körperformen genauer wahrnehme, die mein Körper einfach dadurch kreiert, weil er sich auf diesen gewundenen, steinigen, erdigen, matschigen oder felsigen Wegen mit ihren Steigungen, Neigungen und Gefällen bewegt, wie es ihm am besten möglich ist, und wenn ich zusätzlich bemerke, wie mein Körper von Form zu Form schwingt, weil er sich in einer Bewegungskontinuität befindet, dann würde ich sagen, das ist Tanz. Bei der Vorstellung, dass dieselbe Bewegung in einen anderen Kontext verlagert würde, zum Beispiel in ein Studio, so würde das vermutlich noch deutlicher werden, zumindest, wenn man eine zeitgenössische Ästhetik zugrunde legt. In Bezug auf die Wanderung ist es insofern ein Tanz, der durch die Landschaftsform, den Weg und durch mein System gleichzeitig entsteht. Bei dieser Erkenntnis wurde mir klar, dass diese Zirkularität beim Entstehen des Tanzes ein Bewegrund ist für mein starkes Interesse an den Wegen vor mir. (Die übergroße Mehrzahl der Fotos, die ich mache, nimmt die Wege vor mir auf.) Tanz und Gehen scheinen mir in Bezug auf den beschrittenen Raum und in Bezug auf die Zeit immer vorwärts gerichtet ins Unbekannte zu driften, unabhängig von der Körperorientierung und der Blickrichtung. So birgt der Weg vor mir den Tanz wie in einer Verheißung, ohne dass sein konkretes Erscheinen dadurch erkennbar würde. Es bleibt im Moment des Tuns eine Instant Composition, die dennoch einer Logik folgt. Das Nicht-Wissen ist Teil dieser Logik und Teil des Wesens dieses Tanzes. Der Weg vor mir ist in der Ko-Emergenz des Tanzes insofern mein Score, den ich mit den Fotos schreibe.
Ihr Lieben, Morgen werde ich zur Tilisuna Hütte gehen und damit begebe ich mich in die letzte Gehphase meiner 10-wöchigen Tour. Es kann sein, dass ich vor meiner Ankunft im Bildungszentrum Salecina in Maloja nicht noch einmal Internetzugang haben werde, da ich fast ausschließlich in Hütten übernachten werde. Falls dem so ist, werdet ihr erst in 2 Wochen wieder von mir hören.
Wie auch immer wünsche ich euch eine freundlich bewegte Zeit. Fotos gibt’s auch wieder und unter https://www.dropbox.com/sh/3adxbj9fcoewgey/8gGx-JBsls auch Fotos (Nils Matzner) von der Performance in Bozen.
Ganz herzlich,
Katja
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Oberstdorf, 15.08.12
Fotos von der Performance im Museion Bozen, die Nils Matzner gemacht hat:
und noch mehr unter:
https://www.dropbox.com/sh/3adxbj9fcoewgey/8gGx-JBsls
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Oberstdorf, 14.08.12
Ihr Lieben,
am Sonntag schon bin ich kurz vor der Kemptener Hütte über die deutsche Grenze gegangen, und es war ein merkwürdiges Gefühl. Denn bisher habe ich mich immer sehr weit weg gefühlt (räumlich gesehen, auf anderen Ebenen ist das Nah-Fern-Empfinden sehr wechselhaft). Mit diesem Grenzübertritt wurde mir plötzlich bewusst, wie weit ich schon gegangen bin und wie nah ich damit gerückt bin. Noch deutlicher wurde mir das, als ich gestern dann nach Oberstorf in die Stadt gegangen bin, weil ich damit auch wieder an den Rand der Alpen komme. Damit bin ich bisher ca. 620 km zu Fuß gegangen. Die Höhenmeter habe ich noch nicht berechnet.
Oberstorf ist insofern eine besondere Etappe. Ein Teil von mir sagt, da ich ja nun einmal durch die Alpen gegangen bin, könnte ich auch aufhören. Habe erfahren, dass es möglich ist, dass es wunderschön ist, dass es anstrengend aber nicht über-anstrengend ist, habe unendlich viele Fotos und einige kleine Videos, habe unzählige Geschichten, Eindrücke, Inspirationen und vor allem, ich hatte fast immer gutes Wetter und ich bin gesund und munter.
Warum also weiter gehen? Ich wende hier und tauche ab wieder tief in die Zentral-Alpen. Nach einer kurzen, weiteren Strecke durch Österreich (vielleicht doch noch die Chance auf einen Germ-Knödel, nachdem ich mich die ganze Zeit gesehnt hatte), gehe ich in die Schweiz durchs Prättigau ins Engadin.
Ein Teil der Motivation ist das nach wie vor bestehende Interesse daran, was bei langen Prozessen passiert. Was, wenn ich es noch länger tue, was ich tue? Wie verändere ich mich dadurch, wie verändert sich das, was ich tue und wie verändert sich meine Wahrnehmung der Umgebung?
Eine weitere Motivation ist das Interesse daran, meine Reise in weitere Regionen fortzusetzen. Denn in dieser langsamen Kontinuität bekomme ich ein feines Gefühl für die Unterschiedlichkeiten von Tälern in Bezug auf die Sprache, Mentalität, die Stimmung, die Beziehung zum Tourismus und natürlich auch die Landschaft. Wirklich jedes Tal, jede Region ist anders, und ich muss mich damit befassen. Es fordert meine Flexibilität, was ich nicht immer bequem (denn es gibt in mir durchaus spontane Abneigungen), aber ausgesprochen inspirierend finde (denn ich suche Möglichkeiten, um dennoch interessiert zu bleiben). Eine Reduktion von (vor-)schnellen Bewertungen hilft mir dabei sehr, zum Beispiel, wenn ich große Skigebiete durchquere. In diesem Zusammenhang ist eine weitere Motivation: Diese Wanderung ist auch eine lange Übung darin, vorbehaltlos das, was kommt (und was ich schon hinter der nächsten Ecke nicht mehr kenne) anzunehmen und damit direkt und konstruktiv damit umzugehen. Eine fortwährende Praxis ist dabei, meinen Fokus immer und immer wieder auf das Wie? (wie fühlt sich etwas an?) auszurichten, anstatt mich im Was? (was ist das und was steckt dahinter?) zu verstricken. Meiner Erfahrung nach verheddert sich das Was? oft schnell in Meinungen und Bewertungen, sodass ich mir damit selber im Weg stehe, eine direkte Erfahrung zu machen.
Die Kombination aus Dauer, Kontinuität und Erfahrung bringt mich zur nächsten Motivation, um weiter zu gehen. In den letzten Tagen habe ich ganz deutlich gefühlt, wie meine angenommene Behauptung, das Ganze sei eine Komposition, ein Eigenleben bekommt. Ich kann diese Komposition nicht mehr bewusst fassen. Um eine Ahnung von ihr zu bekommen, muss sich etwas in mir weiten und einen Resonanzraum dafür schaffen, der an mein Vorstellungsvermögen grenzt. Ich habe die Vermutung, dass darin, in dieser inneren Weitung, ein kreatives Potential ruht, an der ich momentan nur kratze.
Auf das Gehen bezogen habe ich besonders in der letzten Woche das erste Mal Grenzen von Kraft erfahren. Auf dem Cottbusser Höhenweg fehlte mir die Kraft, mit meinem schweren Rucksack die kritische Kletterstelle zu überwinden. Nach 2 Versuchen musste ich umkehren und die Route durch das Pitztal nehmen. Diese Entscheidung fiel mir landschaftlich sehr schwer, stellte sich dann aber als große Überraschung heraus, da ich mit dem Talweg quasi durch die Hintertür das Tal durchquerte. Dort traf ich kaum mehr TouristInnen, sondern vorwiegend Einheimische bei ihren täglichen Arbeiten, und es war insgesamt sehr viel weniger belebt, als häufig die höheren Wanderwege in dieser Region (ich gehe gerade häufig entgegen dem Wander-Strom auf dem E5-Europäischen-Fernwanderweg 5). 2 Tage später hatte ich Knie- und Muskelschmerzen, und es fühlte sich nach einer tieferen Müdigkeit an, als bisher. Daher wird meine Aufgabe mehr noch als bisher sein, diese zu große, zu steile, zu schwere Reise in sehr kleinen Schritten zu machen, immer und immer auf der Suche danach, wie es leicht ist. Im ganz Kleinen ist das die Suche nach dem Weg, die in konstanter Wechselbeziehung steht mit dem (Berg-)Weg, auf dem ich gehe.
Und damit komme ich erst mal zur letzten Motivation… bisher habe ich mich vorwiegend entlang der gelben Route der Via Alpina geschlängelt, was große Vorteile hatte, da Verlauf und Etappen schon vorgeschlagen sind und die Wege sehr gut markiert. Der Nachteil war eben auch, dass mich die diese Struktur auf sehr frequentierte Wege geschickt hat. Ab jetzt werde ich mir meinen eigenen Verlauf suchen, was viel mehr Möglichkeiten aufwirft, aber auch deutlich mehr Unwägbarkeiten (Unwegbarkeiten).
So wende ich also und tauche für die nächsten 3,5 Wochen nochmal ein und bin ausgesprochen gespannt, was kommt.
Ich freue mich weiterhin und jedes Mal ganz explizit, wenn ihr mir schreibt, auch wenn ich euch nicht einzeln antworte! Mein Dank geht an alle, die mir auf so viele Arten Feedback und Unterstützung zukommen lassen.
Seid herzlichst gegrüßt
Katja
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vent, 5.8.12
katja
Weißlahn, 25.7.12
Ihr Lieben,
heute schreibe ich euch aus dem Tierser Tal in Südtirol. Am oberen Ende dieses Tals liegt das Hotel Panorama, das seinen Namen absolut zu Recht trägt, denn ich blicke von hier aus auf die Rosengartengruppe, speziell die Vajolet-Türme und die Rosengartenspitze.
Am letzten Samstag hatte ich meine Wanderung in Canazei wieder aufgenommen (Canazei ist ein Jahrmarkt, den ihr meiden solltet, wenn ihr Ruhe in den Bergen sucht…) und bin von dort zur Marmolada, ins Val Contrin, über den Passo San Nicolò, durchs Val de Grepa nach Fontanazzo gegangen. Von dort weiter in einem Rutsch durchs Val de Dona zur Rifugio Antermioa, weiter über den Passo Antermioa, zur Grasleitenpasshütte, wo ich immer noch nicht genug hatte und noch weiter zur Tierser Alpl gegangen bin. Damit habe ich in den letzten Tagen das erste Mal auf dieser Tour bekanntes Gebiet betreten, da wir letztes Jahr mit Bergrecherche vom Schlern aus die Region schon intensiv erkundet hatten. Dennoch ist es vollkommen anders. Ich denke vor allem über Kontinuität nach im Moment. Es stellt sich mehr und mehr ein ganz intensives Gefühl von Zusammenhang ein, das für mich den Ursprung im langen und Langstrecken-Gehen hat. Es gibt immer einen Fuß, der am Boden ist, während der andere sich ins Neue begibt. Mit all dem Gewicht, das ich mit mir herum trage (geschätzte 15-16 kg, je nach Essen- und Wassermenge), bin ich für meine Verhältnisse eine Schnecke und muss, um diese dauerhafte Kraftanstrengung bewältigen zu können (ich habe Steigungen bis 50%), sehr gleichmäßig mein Gesamtgewicht von Fuß zu Fuß verlagern. Dabei ergibt sich eine Kontinuität von Bewegung und Verortung, bei der sich die Landschaft Schritt für Schritt in mich einarbeitet. Gleichzeitig bin ich immer wieder überrascht, wenn ich dann sehe, welche Berge und Täler schon überwunden habe, die noch vor Kurzem vor mir lagen und unüberwindbar schienen. Diese Erfahrung übe lange Strecken, ist etwas, was ich bei meinen 5-10 Tagestouren so noch nie erlebt habe. Es ist nun auch ein Reisen, nicht mehr nur Wandern.
Gestern bin ich über den Schlern und die Bärenfalle hier ins Tierser Tal gekommen und fand dieses so schön gelegene Hotel einen guten Ort, um mich auf meinen Bozenaufenthalt vorzubereiten. Noch heute fahre ich dorthin, um mich in die Vorbereitungen für die Performance im Museion am Freitag (27.7.) zu stürzen. Ich werde versuchen, dabei dieses kleinen Schritt-für-kleinen Schritt-Prinzip beizubehalten, sodass es weiterhin eine Kontinuität von Erfahrung und Energie geben kann. Es ist ein ausgesprochen angenehmer, effektiver und leistungsstarker Zustand, der sich dabei einstellt. Allerdings habe beim Wandern ja den Luxus, mich ganz auf meine Rhythmen einschwingen zu können. Nur Unterkunft und Wetter sind bedingende Größen. Das sieht dann ja im städtischen und Theaterkontext doch ganz anders aus, wo es gilt, viele Rhythmen und Bedingungen günstig miteinander zu verbinden. Ich bin froh und freue mich, dass ich diese Performance-Zwischenstationen habe, bei denen ich genau diese Übergänge üben kann.
Ich habe so viele tolle E-mails von euch bekommen, die mich im Herzen erreichen und unterstützen. Auch Fragen, die ihr mir stellt, bewegen mich und ich versuche, sie nach und nach zu beantworten. Hier die Antwort auf die Frage von Nicole nach wilden Tieren. In den ersten Wochen bin ich ja vorwiegend durch riesen Wälder entlang der slowenischen Grenze gegangen. Ich war extrem überrascht, dass ich so wenig Tieren begegnet bin, denn es war vollkommen einsam und die italienischen Waldgebiete hängen mit den slowenischen zusammen (und Slowenien ist zu 80% bewaldet). Alle erzählten mir von Begegnungen mit Bären und Wölfen, aber ich bin ihnen nicht begegnet. Ich habe wilde Spuren von Wildscheinen gesehen und sicherlich waren sie sehr nah. Ich habe Füchse getroffen und sehr viele Rehe (noch heute Morgen graste eins direkt vor dem Fenster), Hasen und sehr sehr viele Murmeltiere. Außerdem natürlich viele Greifvögel, unter anderem See- und Steinadler. Eine aufregende Begegnung hatte ich mit einer Schlange, ca 1,20 lang und grau-grün) noch bevor ich wusste, was ich tat, merkte ich, wie ich nicht mehr bergab, sondern rückwärts bergauf ging. Das war das erste, was mein Bewusstsein erreichte, erst dann sah ich bewusst die Schlange, die sich vor mir auf dem Weg entlangschlängelte. Sie schlängelte irgendwann in den Wald weiter, und ich konnte passieren. Den Rest des Tages hatte ich noch ständig das Gefühl, Schlangen zu sehen, während es nur Schatten oder Stöcke waren. Interessant zu merken, wie das Unterbewusstsein beim Thema Schlangen aktiv wird. Und das wildeste Tiererlebnis hatte ich bisher gestern, allerdings mit einer kleinen Herde von Schafen. Kurz nach der Tierser Alpl am frühen Morgen traf ich sie und sie waren überraschend zudringlich, blökend und drängeln umringten sie mich. Diese Zudringlichkeit wurde so stark, dass ich mich an Erzählungen erinnerte, bei denen Menschen von salzsüchtigen Schafen oder Ziegen zu Tode gedrückt werden. Ich musste mich mit ganzem Körpereinsatz, mit lauter Stimme und meinen Wanderstöcken gegen diese Tiere wehren, was dann auch funktionierte. Aber für Momente war mir doch mulmig.
Bevor ich mich für heute von euch verabschiede, noch der Hinweis auf mehr Wegefotos aus den letzten Tagen unten. Wege bleiben eine Faszination für mich, wie sie sich durch die Landschaft winden und wie sich beim Gehen auf ihnen die Landschaft in mich windet…
Aus der Intensität dieser Erfahrungen sende ich euch ganz herzliche Grüße und denke voll Wärme an euch,
Katja
katja
21.06.12 Berlin
Eine Mittelohrentzündung hat mich abrupt ausgebremst. Immerhin habe ich kaum noch Schmerzen, aber ich bin enorm schlapp…weit entfernt von einem energetischen Geh-Zustand. Und aufgrund der Entzündung höre ich rechts schlecht und links quasi gar nicht. Alle Sinne scheinen sich den Ohren anzuschliessen und kehren mich nach innen.
Meine Beobachtungs-Frage für die Tour nach dem Anwesenden wendet sich weit nach innen und auch da trifft sie auf wenig Spezifisches im Moment. Viel Wattigkeit und Mattigkeit, ein konstantes Fiepen und Brummen im linken Ohr, meine ganze linke Körperseite irgenwie kompakter als die rechte. Und darüber hinaus eine unendliche Dankbarkeit dafür, dass ich hier im Moment noch so wohlig aufgehoben bin. Ein plötzlicher Schreck vor der Weitung und dem Ausgesetzt-Sein, das mich erwartet.
Die Auftakt-Performance am letzten Saamstag war sehr bewegend und tatsächlich mit dem Gefühl des Beginnens verbunden:
Es waren knapp 30 Menschen gekommen, davon 3 Kinder, die sich leicht darin taten, etwas mit auszuprobieren und so schnell eine partizipatorische Atmosphäre mitkreierten. Schon ziemlich am Anfang hatte ich eine große Menge Gries am Boden verstreut, genauer gesagt 12 Kilo. Darin haben sich dann über die Performance hinweg die unterschiedlichsten Muster, Wege und Spuren gezeigt. Später dann mit einer sehr großen, sehr leichten Plastikplane kam eine weitere Schicht in den Raum, die ebenfalls in kontinuierlicher Veränderung war, da sie sich durch meine Bewegungen, die Aktionen des Publikums und durch den Luftzug, der durch die offenen Fenster kam, ständig bewegte.
Eine mit dem Fuss gemalte Karte vom Verlauf meiner Tour, Erzählungen über das Soziale Netzwerk, das sich während der 1,5 Jahre Entwicklungszeit entsponnen hat und zum Gelingen des Projektes beiträgt, Fotos von Alpenwegen aus ehemaligen Touren, beschriebene Postkarten und im Hintergrund bimmelnde Kuhglocken gaben kleine Einsprenkelungen von Alpenathmospären und gleichzeitig einen Einblick in meine Art zu dokumentieren und zu erzählen.
In Bezug auf das Gehen und Choreografieren und das feine Hin- und Herblenden zwischen Gehen und Tanzen habe ich gerade spannende Körper-, Zustands- und Bewegungs-Ansätze gefunden, die mich wohl noch eine Weile beschäftigen werden.
Das Feedback im Anschluss war sehr unterstützend. Alle waren einerseits in sich mit etwas beschäftigt, was sie berührt hatte, andererseits haben alle betont, auf angenehme Art in das Projekt eingeführt worden zu sein.
Das gemeinsame Essen war entsprechend ausgelasssen, wirklich ein Picknick mitten im gestalteten Raum.
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12.05.12 Hinterhermsdorf, Sächsische Schweiz
Gehen macht mich glücklich – Gehen draußen macht mich besonders glücklich – nach und nach beginnt es in mir zu schwingen und dieses innere Schwingen findet nach und nach einen Einklang mit dem Schwingen in der Umgebung. Durch das Gehen entsteht ein geteiltes Resonanzfeld zwischen mir und der Umgebung. In der Natur fällt mir das besonders leicht, da ich sie unangezweifelt in mich eindringen lassen kann und ich mich unangezweiffelt in sie hinein ausdehnen kann. Es fällt leicht, ohne Wertung zu sein. So entsteht im und durch das Gehen eine Wachehit, Präsenz und Aktualität in mir und in meinem Sein in der Welt, die eine sehr hohe Intensität aufweist. Und für Momente kann sich dies noch verdichten, sodass ich ein Gefühl von umfassender Anwesenheit bekommen kann, als gäbe es für einen Augenblick keine Teilaspekte mehr, sondern ein grundlegend mit allem verbundenes Sein. In diesem Augenblicken sind Zeit und Raum gleichermassen ausgeweitet und verdichtet – dieser Zustand läßt sich kaum in Worten beschreiben. Es entsteht auf jedenfall pures Glück und ein sehr offenes Herz.
liebe katja,
ich hoffe du bist wieder gesund! morgen fährst du und übermorgen gehst du los, denke ich mir. ich überlegte gerade dich anzurufen, dachte dann aber, dass viel telefonieren das abreisen oder die gesundheit auch nicht ‘verbessert’. insofern … lieber richtig in dein projekt hinein. ich wünsche dir alles rundherum gute, gänzliche genesung oder anpassung an die lage und vor allem viel freude auf deinem weg. bin gespannt über die nachrichten und spuren, die du hinterlässt und werde ‘die sache’ von deiner städtischen heimat aus verfolgen.
viele liebe grüße,
paula