Projektbeschreibung


GEHEN TransAlpin

 

Ein Projekt von Katja Münker

Wandern durchdringt. …, die Berge durch die Poren der Haut aufnehmen,…die Form der Abhänge einatmen, …der Körper wird von der Erde durchgeknetet, die er berührt. Und nach und nach ist er nicht mehr in der Landschaft: Er ist Landschaft. …in ihm wird auf einmal Beziehung offenbar. …Und das Gefühl von Ewigkeit ist auf einmal die Vibration von Gegenwärtigkeiten.                                  (Frédéric Gros Unterwegs München 2010)

 

 

GEHEN TransAlpin ist eine in die Landschaft und in Innenräume gewobene Langzeitperformance, die in Berlin ihren Ursprung nimmt und dorthin zurückführt. Zweieinhalb Monate führt diese Walk-In-Progress-Performance von Juli bis Mitte September zu Fuß über die Alpen, von Osten nach Westen. Dabei begegnet sie unterwegs Menschen, führt Gespräche, lädt ein zum Mitgehen und kehrt ein in (Theater- und andere) Räume, um in Showings das gesammelte Material zu Indoor-Performances zu weben. Unterwegs draußen in der Natur und in Orten werden sich kürzere und längere Spontanereignisse entwickeln. In Berlin finden Auftakt- und Abschlussperformances statt, die die Brücke schlagen zwischen Metropole und Peripherie, Berg und Flachland, Alltäglichkeit und ästhetischem Eingriff. Es ist ein Solo-Projekt mit einem Schwerpunkt auf aktiver, vorwiegend gehender Teilhabe des Publikums in unterschiedlichen Phasen und mit unterschiedlichen Perspektiven.

Gehen ist (Über-) Lebenswissen und künstlerische Praxis und besonders in den Alpen ist es, teilweise untrennbar verwoben, beides gleichzeitig.

Walking… is much like talking and both are quintessential features of what we take to be a human form of life. … Walking is not just what a body does; it is what a body is. … Walking itself is a way of knowing … [it] is a profoundly social activity.

(Ingold/Vergunst Ways of Walking University of Aberdeen 2008)

Nach ausreichender Versorgung mit dem Notwendigen konnten sich kulturgeschichtlich aus dem Gehen kulturelle Ausformungen entwickeln: Musik, Rituale, Tänze, Skulpturen, Geschichten.

In der Moderne und Postmoderne findet sich u.a. im Dada, bei den Situationisten, der LandArt, im Minimalismus und in der Postmodernen Perfomance-Kultur auf Gehen basierende Ausdrucksformen:

Bei den Dada-Ausflügen und den späteren ‚Deambulationen’ der Surrealisten wurde die Fortbewegung durch den Raum als eine ästhetische Ausdrucksweise genutzt, die das herkömmliche darstellende Kunstschaffen ersetzte. ..der Pariser Stadtbummel, wie ihn Walter Benjamin beschrieben hat, wird als Kunstform genutzt, die sich nicht in ein Medium einschreibt, sondern direkt in das wirkliche Raum-Zeit-Gefüge.                   (Francesco Careri Walkscapes – Walking as an Aesthetic Practice Barcelona 2001)

Man könnte in diesem Zusammenhang von einer Reduktion und Abstraktion des Tanzes auf seine Ursprünge sprechen: das Gehen als erster rhythmischer Akt von Bewegung. Für GEHEN TransAlpin bildet das Gehen die Basis der Komposition, es ist Sammeln von Eindrücken und Erfahrungen, und es ist Begegnung und Kommunikation mit dem Publikum.

GEHEN TransAlpin ist eine Langzeitkomposition quasi im Cagen Sinne: Landschaftsform, Tagesetappen, Wetter(-wechsel), Schritttempi, Atem, Puls, Gehen-Stehen-Sitzen-Liegen, Pausieren, allen Handlungen: Kleidung an/aus, Rucksack auf/ab, Karte lesen + wegstecken, Weg, Blickrichtungen, Begegnungen, Gesprächen, Drinnen- und Draußen-Sein wachsen zu einem akkumulativen, informierten Sein, das aus dem Geschehen entsteht.

Dieses Geschehen ist stark definiert und gleichzeitig vollkommen offen. Es rangiert zwischen Planung, Anpassung und Improvisation, zwischen Setzung und Instant Composition. Die entstehende Komposition aus Orten, Verläufen, Geschichten und Menschen, aus Aktion und Stille, ist einzigartig und integriert Unerwartetes.

In den Studio-Performances strebe ich danach, nicht nur die spezifische Körperlichkeiten und Wahrnehmungen des Wanderns als Basis für die Komposition zu nutzen, sondern besonders auch die erfahrenen spezifischen Rhythmen, Beschleunigungen, Verlangsamungen, Plötzlichkeiten, Füllen, Dehnungen usw. auf der Suche nach Mitteilbarkeit von Intensitäten und Zuständen in performativen Ereignissen durch Körper und Bewegung. Dafür nutze ich den Körper als komplexes System: Transport-, Speicherorgan, Aufnahme-, Ausdrucks- und Kommunikationsorgan. Ausgehend von der Annahme, dass mein Körper/System mit all seinen Fähigkeiten, mit seiner Wachheit, Präsenz und Lebendigkeit prinzipiell in der Lage ist, Erfahrungen mitzuteilen, untersuche ich Bedingungen für dieses Mitteilen: Wann und wie wird die Resonanz von Erlebtem/von Leben im Anderen, im Zuschauer  spürbar? Wie erzählt der Körper von seiner Wandlung und der Wandlung der Landschaft, wie geschieht Teilhabe?

Das Gehen/Wandern in den Bergen ist in einem besonderen Maß ein spezifischer Akt, der hohe Einlassung, Können, Improvisation und Präsenz fordert. Die Alpen bieten in Mitteleuropa, besonders in einer zusammengerückten, globalisierten Welt, für Berlin eine (verhältnismäßig) nahe liegende und zugängliche Möglichkeit der alpinen Bergerfahrung.

Die Länge der Wanderung ist, besonders in einer Welt, in der man sich mehr und mehr medial und in virtuellen Räumen bewegt, ein ungewöhnliches Ereignis. Sie weckt aufgrund dieser Tatsache (so wie alle ungewöhnlichen Reisen) ein Interesse, was in Begegnungen eine schnelle Ebene der Kommunikation schafft. So webt sich in ihrem Verlauf ein ganz analoges Netz aus Begegnungen und Fußspuren. Wege, Orte und Menschen verknüpfen sich und erzählen alle auf eigene Art ihre Geschichten. Um diese Geschichten zu dokumentieren, werde ich neben der wachen Nutzung meines gesamten (er-)lebenden Systems folgende Arbeitspraxen nutzen:

Für die Wege: Ich werde auf allen Wanderungen mehrmals täglich den Weg vor mir fotografieren. Für diese Fotos gilt es, sie nicht mit Sichtkontrolle über den Sucher oder Bildschirm zu gestalten und nur gerade so lange stehen zu bleiben, wie es für eine automatische Kamera notwendig ist, um die Bildschärfe einzustellen. Daher können diese Art von Fotos quasi aus dem Gehen heraus gemacht werden und geben jeweils einen kleinen Blick auf den Weg, den ich innerhalb der nächsten Minuten gehen werde, teilweise inklusive des Ausblicks auf die Umgebung, die ich dabei sehen werde.

Für die Orte: Täglich bei der Ankunft werde ich eine Postkarte des Ortes kaufen, an dem ich angekommen bin und auf ihrer Rückseite Tageseindrücke notieren.

Für die Menschen: Ich werde unterwegs Menschen, denen ich begegne, und Mitgehende bitten, mir Geschichten zu erzählen und ihre Erfahrungen mit/im Gehen. Für die Dokumentation dieser ‚Interviews’ werde ich ein kleines, digitales Audioaufnahmegerät nutzen.

Auf der Basis dieses Materials werden die Performances erlebbare und zu belebende Raum-Installationen sein mit unterschiedlichen Stationen, auch im Außenraum. So werden die Postkarten, Fotos (als Projektionen) und akustischen Einspielungen von Interviews den Resonanzraum bilden für den Tanz, der auf seine Art von den Erfahrungen bis zum jeweiligen Zeitpunkt erzählt. Einfache Scores, die das Gehen, die Wahrnehmung und die Aufmerksamkeit anregen, werden die Basis für aktive Einbindung des Publikums bilden, woraus sich individuelles Erleben, Agieren und Imaginieren verwebt in einem Gesamtereignis – quasi zu einer eigenen Reise, einem eigenen Abenteuer, einer eigenen Komposition.

Zuschauerperspektiven

GEHEN TransAlpin sucht nach unterschiedlichen Perspektiven, aktiver Teilhabe und fortlaufender Wechselbeziehung mit dem Publikum:

  1. als Mitwandernde auf Etappen der Alpentour

-       geplant mit Einstieg an vorab definierten Orten oder

-       spontan unterwegs meinem Weg folgend

  1. in den Etappenperformances (angestrebt z.B. in Topolò, Bozen, Chur)
  2. in den Berlin-Performances vor und nach der Alpentour

 Zusammenfassung

GEHEN TransAlpin ist eingebettet in den größeren Produktionsrahmen GEHEN für verschiedene Formate, Performances, Workshops und Publikation zum Thema: Gehen als choreografische, gestalterisch-ästhetische und kommunikative Praxis.

Mit dem Gehen rücke ich eine alltägliche Handlung in den Vordergrund und wandele es in eine Aktion mit vielschichtiger, auch choreografischer, Potentialität. Aufgrund der Tatsache, dass es eine mit einem Großteil der Menschheit geteilte Fähigkeit und Erfahrung ist, kann es die Grenzen zum ‚Anderen’ überbrücken. Es kann Räume (innere wie äußere) und somit auch Theaterräume neu oder überhaupt zugänglich machen. In Zeiten der Virtualisierung kann es mit seiner analogen Physikalität das Körperliche und auch seine Potentialität neu beleben.

Neben GEHEN TransAlpin führe ich eine grundlegenden Untersuchung des Gehens als physische Praxis in Resonanz zu somatischen Praxen durch (u.a. Alexander Technik, Body-Mind-Centering, Feldenkrais, Tai Chi Quan) mit abschließendem öffentlichem Gespräch zwischen diskursnahen PraktikerInnen, KünstlerInnen und TheoretikerInnen.  Eine Workshop-Serie Die Kunst des Gehens in Kooperation mit unterschiedlichen Bildungsträgern, Schulen, Universitäten und Unternehmen wird das gesamte Projekt begleiten, und eine  Publikation wird es abschließen.

Ziel

Ziel des gesamten Projektes GEHEN ist die Schaffung von unterschiedlichen Geh-Formaten und Events, die es vielen unterschiedlichen Menschen erlauben, den Akt des Gehens neu zu erfahren,  damit sich und die Welt als variabel und gestaltungsfähig zu erleben und die erlebten Welten mitteilbar zu machen. GEHEN untersucht dafür das Gehen in seinem Grund, auf die ihm innewohnende Nähe zum Tanz und auf sein Potential zur Wahrnehmungsschärfung zur teilhabenden Vermittlung von Tanz.

Das Projekt basiert auf den Ergebnissen meiner bisherigen chroreografischen  und partizipatorischen Arbeiten auf der Basis von somatischer Praxis speziell der Feldenkrais Methode (u.a. Kein Plan – Kein Zufall 2010). Eine Analyse dieser Arbeiten ist in der aktuellen Ausgabe des Journal of Dance and Somatic Practices veröffentlicht (Münker, K. (2010), ‘A continuous experiment and a continuous finding: A reflection on choreography, somatic practice and the aesthetics of change and conditions, Written from practice’, Journal of Dance and Somatic Practices 2: 2, pp. 161–174, doi: 10.1386/jdsp.2.2.161_1). Darüber hinaus ist das Projekt beeinflusst durch meine langjährige Erfahrung im alpinen Wandern, meiner Unterrichtspraxis auf der Basis von Feldenkrais Methode und Improvisation und durch die Arbeit mit dem Performance-Kollektiv Bergrecherche (www.bergrecherche.de).

| Katja Münker | Tänzerin/Choreografin | Feldenkrais-Lehrerin |

| www.kunst-im-gehen.de |  www.movement-muenker.de  |

| 0049 – (0)30 – 81890388 | movement-muenker@web.de |

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